Sabine Kuegler - Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind

Shownotes

In der achten Folge Folge ihres Podcasts „Wie Gehen Wir Eigentlich Miteinander Um?“ taucht Birte Karalus in das außergewöhnliche Leben von Sabine Kuegler ein. Geboren in Nepal und aufgewachsen in den Tiefen des Dschungels von Westpapua, bringt sie eine einzigartige Perspektive auf das Leben und den Umgang mit kulturellen Unterschieden mit.

Kueglers Kindheit war geprägt vom Leben mit dem indigenen Volk der Fayu, einer Erfahrung, die sie in ihrem Weltbestseller "Dschungelkind" und nun in ihrem neuen Buch "Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind" eindrucksvoll beschreibt. Ihr Leben zwischen zwei Kulturen war ein ständiger Balanceakt, gezeichnet von Kulturschocks und tiefgreifenden Einsichten in menschliches Zusammenleben und Konflikte.

In einem intensiven Gespräch mit Birte Karalus offenbart Sabine Kuegler, wie sie dieser innere Zusammenprall zweier Welten geprägt hat. Sie erzählt von ihren ersten Jahren in Nepal, dem Umzug nach Deutschland und den daraus resultierenden kulturellen Herausforderungen.

Das Gespräch geht tief in die Themen der kulturellen Identität, der Bedeutung von Gemeinschaft und Überleben in extremen Bedingungen. Sabine Kuegler berichtet von dem entscheidenden Einfluss ihres Vaters, einem Sprachwissenschaftler und Missionar, auf die friedliche Entwicklung der Fayu und wie diese Veränderungen einen Dominoeffekt in der Region auslösten.

Dieses Interview ist nicht nur eine Reise durch das außergewöhnliche Leben einer Frau, die zwischen zwei Welten groß wurde, sondern auch eine Lektion in Menschlichkeit, Verständnis und der Kraft der Versöhnung. Sabine Kueglers Geschichte ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie tiefgreifend unsere Herkunft und Erlebnisse unseren Umgang mit anderen Kulturen und Konflikten beeinflussen können.

Gast: Sabine Kuegler

Buch „Dschungelkind“: https://www.buecher.de/shop/schweiz/dschungelkind/kuegler-sabine/products_products/detail/prod_id/20752947/

Buch „Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind“: https://www.buecher.de/shop/deutschland/ich-schwimme-nicht-mehr-da-wo-die-krokodile-sind/kuegler-sabine/products_products/detail/prod_id/68125080/

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Transkript anzeigen

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Birte Karalus: Mit ihrem Buch Dschungelkind, ihrer Autobiografie schrieb Sabine Kügler einen Weltbestseller. Ihre Geschichte beginnt, als ihr Vater, ein Sprachwissenschaftler, das Volk der Fayu in Westpapua entdeckte. Für Sabine Kuegler der Beginn eines inneren Zusammenpralls zweier Welten, die unterschiedlicher nicht sein können. Dieses erlebte Wissen, dieses so unterschiedliche Leben in gegensätzlichen Kulturen schildert sie spannend in ihrem neuen Buch, auf das ich aufmerksam wurde. Was können wir im Umgang miteinander von ihr lernen? Was macht dieser Kulturschock, den sie so intensiv erlebt hat, mit Menschen, und wie kann man damit besser umgehen? Wetterbedingt trafen wir uns via Videokonferenz. #00:00:42-8#

Birte Karalus: Ich schwimme nicht mehr da, wo Krokodile sind. Das ist der Titel ihres neuen Buches. Ich finde den Titel spannend, weil er sich für mich erst ganz am Ende erschlossen hat, und dann macht er doppelt Sinn. Ich möchte das so ein bisschen als Teaser durch unser Gespräch jetzt ziehen. Ich freue mich, dass Sie Zeit haben. Sie haben eine aufregende Lebensgeschichte, eine ganz, ganz intensive, und ich finde, sie ist wunderbar aufgeschrieben worden. Ich kann dieses Buch wirklich sehr empfehlen, und das tue ich auch. Ein Leben, das anders ist, dass viele Konflikte in sich birgt, weil sie immer zwischen den Kulturen gependelt sind. Sie schreiben teilweise von einem Kulturschock und können das auch toll erklären, wie unterschiedliche Werte, welche Wirkung das auf Sie hatte. Für mich sind Sie am Ende des Buches jemand gewesen, der Kulturen verstehen kann, und ich glaube, eine tolle Aufgabe wäre es, auch, so eine Kulturvermittlerin zu werden. Vielleicht ist das ja auch eine Motivation gewesen, dieses Buch zu schreiben. Sie haben schon einen ganz eigenen Geburtsort. Sie sind in Nepal geboren. Wie kam es dazu? #00:01:39-1#

Sabine Kuegler: Ja, in Nepal, also, meine Eltern sind ja Sprachforscher, Missionare und haben, bevor ich geboren wurde, haben die einen Auftrag bekommen in Nepal, in den Himalayabergen, so an der Grenze zu Indien, und bin dort geboren, aber auch die ersten drei Jahre dort. #00:01:52-5#

Birte Karalus: Wie war das? Wie stelle ich mir das vor? Kalt, karg. #00:01:55-9#

Sabine Kuegler: Also, ich war ja noch ganz klein. Ich kann mich nicht so sehr an viel erinnern. Also, wir waren ja ziemlich hoch in den Bergen. Das war bestimmt kühl, kalt. Im Sommer, glaube ich, war es auch warm. Aber ich kann mich an den Stern erinnern. Also das ist ja ein unglaublicher Sternenhimmel gewesen, daran kann ich mich erinnern, und dann auch an den Gerüchten ein bisschen und auch an, wir haben ja immer so die Ziegen gehütet. Das war so die Aufgabe des Kindes. Daran kann ich mich auch noch ein Bisschen erinnern. Aber die Gerüche, die sind mir da irgendwie stecken geben. #00:02:25-4#

Birte Karalus: Sie mussten relativ schnell das Land verlassen, aus politischen Gründen, wie so viele damals in der Zeit, sind zurück nach Hamburg gegangen, glaube ich. Da waren sie vier kann das Stimmen. Ist das vier Jahre? #00:02:35-4#

Sabine Kuegler: Ich war drei, war drei, aber es war nicht Hamburg, das war irgendwo Mitte Deutschland, aber ich weiß nicht mehr wo. #00:02:41-9#

Birte Karalus: Das ist wahrscheinlich meine Assoziation mit meinem Heimatort, als drei oder Vierjährige. Ich habe mal versucht. Woran erinnere ich mich schon? Ich erinnere mich an meine ersten Kontakte mit Kindern, die ich zum Spielen irgendwie versucht habe zu finden. Wie war das bei Ihnen dann? #00:02:55-6#

Sabine Kuegler: Also, als wir nach Deutschland kam, hat meine Mutter mich in einem Kindergarten reingetan, also im deutschen Kindergarten, und es war für mich, da hatte ich glaube ich, meinen ersten so Mini-Kulturschock gehabt, weil ich kam ja aus den Bergen, wo alles frei war. Ich habe ja in dem Alter schon drei Sprachen fließend, warte mal, eins, zwei, drei, vier Sprachen habe ich dann schon fließend sprechen können und kam dann ins Kindergarten rein und war auch plötzlich so umgeben von Kindern, die komplett anders waren wie die Kinder natürlich im Stamm, und da war so mein erster Kulturschock, oder wie das so war. Das ist so meine erste Erinnerung an Deutschland. #00:03:27-9#

Birte Karalus: Sie waren da ja gar nicht lange dort, sondern sind wieder zurückgegangen oder sind nach Westpapua dann gegangen, mit ihrem Vater oder mit ihren Eltern und mit ihren Geschwistern. #00:03:37-6#

Sabine Kuegler: Genau ja, das war so 1978 sind wir da mit einem neuen Auftrag bekommen und sind nach Westpapua, Indonesien. Das ist die westliche Seite von der Insel Neuguinea, das liegt nördlich von Australien und ist die zweitgrößte Insel der Welt und beinhaltet, es gibt da verschiedene Meinungen, ein Viertel oder ein Drittel aller Weltsprachen, also für Sprachforscher natürlich ein faszinierendes Land, dort zu arbeiten, ist also bis heute sind da noch Sprachen, die noch nie aufgeschrieben worden sind oder studiert worden sind. Also ist schon ein Phänomen. #00:04:06-2#

Birte Karalus: Sie schreiben in Ihren beiden Büchern auch das Dschungelkind, das ja nur ein Weltbestseller war: "Meine Geschichte begann, als mein Vater das Volk der Fayu", ist das so richtig ausgesprochen, Fayu? "entdeckte". Ich erinnere mich, als ich das Buch gelesen habe, für mich als Konfliktmoderatorin fande ich das gespannt, du hast so romantische Vorstellungen von Dschungel und Kinder und Freiheit, und die ersten Seiten in Ihrem Buch sind auch so, also wo man wirklich sagt, oh wie faszinierend ist diese magische Welt? Ja, ist sie, und trotzdem herrschte da ein Krieg, in den Sie mitten reingekommen sind. Wenn sie mir davon mal erzählen? #00:04:36-6#

Sabine Kuegler: Als mein Vater die Fayu entdeckte, waren, die waren ja, bis dahin wussten sie noch nicht mal, dass es eine Außenwelt gab oder dass es weiße Menschen gab oder dass sie in Indonesien wohnten, und die waren sehr isoliert, weil sie sich in einem Bürgerkrieg irgendwann mal hinein gearbeitet hatten. Wir wissen nicht genau, wann und waren dran, sich gegenseitig bis zum letzten Mann umzubringen, aber, das war ein sehr großer Stamm von mehreren 1000 Mitgliedern und hatten sich innerhalb von zwei bis drei Generationen auf 400 Mann, Frau und Kinder runtergeschlachtet, wussten wir zu der Zeit noch nicht so ganz, aber kam dann hinein. Es war für mich persönlich, weil ich ja nicht in diesen Krieg involviert war, ich hatte sozusagen das beste von beiden Welten, war das für mich natürlich eine Traumkindheit, ich war sehr, sehr glücklich dort, aber die Fayu selbst befanden sich natürlich in einem unglaublich brutalen Kriegszustand, und ja, und das also, das war, da kann ich mich auch dran erinnern, als Kind. Aber das Interessante ist, ich empfand es nicht als was Schlimmes oder Trauma, oder, es war einfach so. Vielleicht ist es, weil Kinder das anders blicken oder so, aber auch, als die Krieg geführt haben, haben wir so ganz was ihr zugeguckt, und dann, wenn jemand verletzt war, sind wir rausgegangen und haben die dann wieder verbunden. #00:05:45-0#

Birte Karalus: Ich finde das schon spannend, in der Zeit, wo wir auch in Europa wieder mit Kriegen so so offensichtlich konfrontiert sind, wie Kinder damit groß werden. Sie schreiben dann, wenn, wenn die sich wieder richtig zusammengerottet haben, um sich wirklich die Köpfe einzuschlagen, sind Sie in das Haus gegangen mit Ihrer Familie und waren quasi Zuschauer und haben aus dem Fenster drauf geschaut, wie die ihre Schlacht da gekämpft haben, ist für uns heute unvorstellbar. Aber trotzdem, damit sind Sie ja sozialisiert und groß geworden. Sie schreiben, dass dieser Krieg eigentlich aus Missverständnissen entstanden ist und dass dieser Hass sich nicht aufgelöst ist. Kaum hat der eine den anderen wieder beleidigt oder verletzt, das kennen wir heute ja auch. Ich habe gerade für ein bisschen was vom Straßenverkehr erzählt. Ja, wie schnell das geht und dass man da so drin bleibt und dass dieser Stamm fast zerstört worden wäre, wäre nicht etwas passiert. Was Positives. #00:06:28-3#

Sabine Kuegler: Ja, also, es war ja ein Blutkrieg, und das Interessante ist, es gibt ja viele, die auch meinen Eltern das immer wieder vorwerfen. Wir können die da rein gehen. Die bringen ja die westliche Welt mit, man soll die Leute in Ruhe lassen, die sollen da so bleiben, wie sie sind, wo ich total dagegen bin. Also, es gibt natürlich Stämme, denen geht's gut, die wollen auch keinen Kontakt. Das ist auch in Ordnung. Aber ich bin jemand. Ich sage immer, die müssen sollen das selbst entscheiden. Wir haben nicht das Recht, das für die zu entscheiden. Aber wir sind reingekommen, und die haben ja auch gefragt, die haben ihren Vater auch gebeten, dass er reinkommt. Die haben ja gesagt, wir wollen, dass du hier bleibst. Weil, wenn man irgendwas Lebendiges nimmt, egal was es ist, ob es, Wasser ist, Pflanzen sind, Menschen sind und sie isoliert, und das ist kein Input und Output, dann verrottet das langsam. Und so ist es auch mit Kultur. Und wenn Kultur keinen Wechsel hat mit Kultur, keinen Kontakt hat mit anderen Stämmen in diesem Fall oder anderen Kulturen oder so, dann ist die Gefahr, dass die Kultur ausstirbt, und das war auch bei den Fayu so, und irgendwann haben sie zum Beispiel noch nicht mal gewusst, dass ein Mensch auf natürliche Wege sterben kann. Das heißt, sie haben gedacht, wenn jemand stirbt, sei es durch Krankheiten, Schlangenbiss, war es sofort ein Fluch, und alles musste, wir sagen, alles muss gerächt werden, indem man ging von dem anderen Stamm jemand auch umgebracht hat. Das heißt, jeder war unter diesem Blutkrieg involviert, egal ob Mann, Frau oder Kind, und jeder war immer in Gefahr, getötet zu werden. Tag und Nacht, also für die Fayu selbst, auch für die Kinder, war das natürlich brutal, für die war das, war das richtig hart. #00:07:51-1#

Birte Karalus: Und es gab gar keinen Weg raus für Sie, also die hatten gar keine Alternative zu sagen, wir reagieren jetzt nicht auf eine Provokation wieder mit einer Provokation, und dann kommt vielleicht eine Beleidigung, und dann kommt die Machete, um das mal ein bisschen einfach runtergebrochen zu haben. Aber ihr Vater hat eingewirkt an einem Tag, und dann änderte sich etwas. #00:08:08-4#

Sabine Kuegler: Ja, ja, also das war, wir waren ja schon länger dort, und ich meine das, das kann man sich auch hier nicht vorstellen. Ich habe das auch vor kurzem mal versucht, jemand zu erklären. Also, der Krieg war nicht, dass sie es aufeinander immer geschossen haben. Das war dadurch, dass die diesen Kriegstanz gemacht haben und immer ein Wort gesagt "U-wa!", aber sehr laut. Jetzt hat man so 30 Leute, ungefähr 30, 40 Männer, die stundenlang am Haus immer hin und her gerannt sind und immer dieses Wort gesagt haben, und das ist sehr, sehr laut. Und wir hatten im Haus kein Fernseher oder irgendwas, um uns viel abzulenken. Das heißt, man muss sich vorstellen, man sitzt stundenlang im Haus, man kann nichts machen. Es gibt ja keine Polizei, die man anrufen kann und meckern kann, dass die Nachbarn laut sind, und man muss stundenlang diesem Lärm zuhören. Und meine Schwester war sehr empfindlich, auch lärmempfindlich, und irgendwann mal konnte sie auch nicht mehr und fing an zu weinen und schreien, und meine Mutter hat versucht, sie zu beruhigen. Und da ist mein Vater ausgerastet. Ich hab mein, das ist das erste und einzige Mal und letzte Mal, wo ich gesehen habe, dass mein Vater ausgerastet ist. Das ist ein ganz ruhiger Mann. Der ist ausgerastet, ist rausgerannt zwischen den Kriegern und fing an, die Pfeile so kaputt zu machen, und hat den Pfeil genommen und über das Knie so kaputt gemacht, und natürlich totaler Schock von den Fayu, weil das kannten sie ja nicht von ihm. Und dann wurde es so ganz ruhig. Und dann hat mein Vater zu denen gesagt, hat gesagt, er hat auch das Haus gezeigt und hat gesagt hört ihr das, hört ihr wie meine Tochter schreit? Er sagt, ich kann das meine Familie nicht antun. Und dann sagt er, ihr zwei Möglichkeiten, entweder geht und bekriegt euch irgendwoanders, oder ich verlasse euch mit meiner Familie, und das hat alles geändert und in dem Sinne, und das ist es nicht so, dass der Krieg aufgehört hat. Das war nicht dass wir gesagt haben, jetzt hören wir alle mit dem Krieg auf, nein. Aber die hatten sich entschieden, dann, weil sie wollten, dass wir bleiben, um unser Haus herum und das Landeplatz und Teil eines ? paar Häuser, haben die so eine Steingrenze gebaut und haben gesagt, jeder, der in diese Steingrenze reinkommt, darf keine Waffen mitnehmen. Woher die auf die Idee kommen, das wissen wir nicht, und ich habe mir das mal spät überlegt. Woher haben sie auch? Aber im nachhinein verstehe ich das, weil die sind ja sehr praktisch. Es lohnt sich nicht, mit jemand zu streiten, wenn man ja keinen Krieg führen kann. Also saßen die auch plötzlich alle in diesem, in diesem Gebiet bei uns und wussten ja erst nicht, was sie machen sollten, weil sie kannten das ja nicht. Sie kannten ja nicht, dass man, die habe sich immer getroffen. Da gab es immer Streit und was passiert ist, und das hat mein Vater immer gesagt. Er sagt, weil, die haben ihnen gesagt, die wollten Frieden. Mein Vater hat immer gesagt, ich kann euch den Frieden nicht bringen, das müsst ihr schaffen. Aber was ich machen kann, ich kann dafür sorgen, dass eure Kommunikation wieder aufgebaut ist, und das war so der springende Punkt, dass sie auch plötzlich anfingen, miteinander zu kommunizieren, was nicht damit zu tun hatte, wer wen umgebracht hatte oder wer was getan hatte, und fing an, über andere Themen zu reden, und dann über die Jahre immer besser und besser und besser, und irgendwann mal haben sie dann auch den Frieden geschlossen. #00:11:00-0#

Birte Karalus: Das finde ich unfassbar! Also, es war wie so, dass ein Volk darauf gewartet hat, eine Chance zu kriegen, eigentlich aufzuhören, ohne das Gesicht zu verlieren, zu sagen, so, wir wollen ja, oder wir müssen ja auch irgendwie miteinander, und dann, so simpel sich das anhört, aber das können wir uns mal gar nicht vorstellen. Aber vielleicht ist es das ganz einfach, mal zu sagen, wir ergreifen jetzt dieses, wir sagen in der Verhandlungsführung immer the window of opportunity, das Fenster der Möglichkeiten, jetzt gehen wir da durch, aber es dauert es, von jetzt auf gleich wird das sicher nicht dauern? #00:11:25-1#

Sabine Kuegler: Ich meine, man muss sich mal vorstellen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gegenüber einen Menschen, der ihre Kinder zerstückelt hat und vergeben sie dem. Und nehmen sie noch ihr anderes Kind und heiraten das in der Familie rein. Und ich habe, ich habe immer gedacht, wie ist das möglich, dass ein ganzer - es waren, ja vier Gruppen, das alle, alle hatten ja irgendjemand auf dem Gewissen. Jeder war, wie sagt man, ein Victim, und jeder war auch ein Perpetrator. Ich weiß nicht, wie man das auf Deutsch sagt. Und die hatten ja alle jemand umgebracht, und da ist mir bewusst geworden, das hat mir auch jemand mal gesagt. Das, was die da möglich hatten, einander zu vergeben, war, weil sie ihre Kinder mehr geliebt haben als sie den Feind gehasst haben. Weil sie haben den Frieden gemacht, nicht für sich selbst, sondern für ihre Kinder und Großkinder. Für die kommende Generation. Weil sie haben gesagt, jetzt haben wir die Chance, diesen Zyklus zu brechen, nicht für uns unbedingt, sondern für unsere Kinder, dass die nicht mehr in diesem Zyklus reinkommen. Und das haben die auch geschafft! #00:12:21-3#

Birte Karalus: Was ich auch so bewegend fand, dass diese Art und Weise, damit umzugehen, dann ja auch eine Reaktion bei anderen Völkern hervorgerufen hat und dann diese Art und Weise, miteinander friedvoll umzugehen, dort auch großen Anklang bekommen hat, ja! #00:12:35-1#

Sabine Kuegler: Ja, ja, weil das, genau, und das war ja etwas, was wir überhaupt nicht erwartet haben, also, das hat uns wirklich überrascht, weil es war ja, die Fayu waren ja sozusagen Ende des ?, und die waren auch die Gefürchteten. Also die Fayu waren bekannt für ihr, die waren auch bekannt für Kannibalismus, für ihre Brutalität. Aber als die Fayu aufgehört haben mit dem Krieg, es ist nicht so, dass sie zu den Nachbarstamm gegangen sind und haben gesagt, wir haben Frieden, ihr sollt auch Frieden haben, das war denen total egal. Aber der Nachbarstamm hat gesagt, wenn die Fayu keinen Krieg führen, warum sollen wir weiter Krieg führen, und haben auch Frieden geschlossen, und dann ging das so weiter, von Stamm zu Stamm zu Stamm, den ganzen Tag lang. #00:13:07-7#

Birte Karalus: Das ist wirklich ein toller Dominoeffekt, ne super Graswurzelbewegung, nehme ich mit. Sie sind im Dschungel groß geworden, im Dschungel sozialisiert worden. Das ist ja nur was ganz, ganz anderes, als wir uns das hier vorstellen können. Was ich interessant fand, dass Sie gesagt haben, im Dschungel geht es vor allem, in der Gemeinschaft zu leben, weil nur so kann man überleben. Das heißt, du brauchst feste Rollen, es muss alles besetzt sein. Es geht nicht um diese individuelle Entwicklung, und die Fayu haben irgendwann gesagt, wenn ich das richtig verstanden habe, Sie sind ein Junge, sie werden als Junge wahrgenommen. #00:13:38-4#

Sabine Kuegler: Ja, weil, also in allen Stämmen, die ich bis jetzt erlebt habe, in allen, sind die Rollen von Mädchen und Jungs sehr, sehr früh geteilt. Die spielen miteinander, ja, aber die Rollen, die sie lernen, in denen man überlebt, sind geteilt. Die Mädchen lernen das, die Jungs lernen das, und eine Sache, dass die Jungs natürlich lernen, ist, das Jagen gehen, besonders Jungs, die sehr aktiv sind, und ich war natürlich jung, ich war sehr, sehr aktiv, und ich hab ja immer Shorts gehabt, das ist nicht so, dass ich so nackt rumgelaufen bin, und da, weil ich immer wieder mit Pfeil und Bogen spielen wollte und immer wieder zu den Jungs wollte und immer wieder da zuschauen wollte und lernen wollte, haben die Fayu sich irgendwann mal gedacht, dass es vielleicht ist ein Missverständnis gegeben hätte, weil das war ja noch ganz am Anfang mit der Sprache, und dass ich vielleicht doch ein Junge war und haben sich dann entschieden, mich als Junge zu erziehen, weil Kinder werden ja vom Stamm erzogen, sozusagen nicht so sehr von den Eltern sind wir natürlich auch, aber, und ja, da haben sie angefangen, mich sozusagen als Jägerin auszu- oder als Jäger auszubilden, und das, das habe ich natürlich, habe ich meinen Eltern nicht gesagt, weil ich wusste, die wären damit nicht einverstanden gewesen, und das ist eine richtiges, im nachhinein sehe ich das auch ein richtiges Programmierung des Gehirns. Das sind Teile des Gehirns, die entwickelt werden, und ohne diese könnte man ja auch nicht jagen, denn man braucht die ? #00:14:52-0#

Birte Karalus: Sie sind Jägerin geworden, haben das auch sehr genossen, weil das dann auch wirklich zu ihnen und ihrer Persönlichkeit gepasst hat. Das kann man auch sehr ausführlich lesen. Irgendwann aber, glaube ich, haben die Stammesmenschen gesehen, dass sie eine sehr hübsche junge Frau geworden sind und kein Junge, und dann durften sie nicht mehr jagen. Das muss auch eine merkwürdige Situation gewesen sein. #00:15:10-9#

Sabine Kuegler: Ja, und nachher, ich meine, heute verstehe ich, warum das so gemacht wird, warum Frauen nicht jagen gehen. Die haben mich sozusagen aus der Männerwelt rausgeschmissen, und plötzlich durfte ich keinen Pfeil und Bogen mehr haben. Plötzlich durfte ich nicht mehr Jagen gehen, und die haben mich immer rausgeschubst, und da kam natürlich, das war zu Zeiten, Teenageralter. Dann kam natürlich auch diese ganze Identifikation, also was Teenager halt typisch rum umgehen, und da fing ich an, sozusagen zu fragen, naja, in der Frauenwelt hab ich nun mich nicht zurecht gefunden, weil ich hatte ja nie gelernt, mit den Frauen da, wie die so sich entwickeln, zu erleben. Und in der Männerwelt durfte ich nicht. Und da fing ich an zu fragen, wo gehör ich hin. Da fing so dieses Gedanke an, wo gehöre ich hin? Bin ich Stammesmädchen, bin ich Deutsche und habe mir gedacht, vielleicht irgendwo da draußen? Vielleicht gibt es so ein Stamm, wo ich zugehöre. #00:15:56-0#

Birte Karalus: War das ein bisschen Flucht? #00:15:57-4#

Sabine Kuegler: Nein, das war nicht Flucht, das war, ich glaube, das war eine Mischung zwischen, halt, dieses sich selbst finden, also als Teenager, dieses Erwachsenwerden. Und das zweite war das, meine Erfahrung in Deutschland. Also, ich war ja in Deutschland schon mal gewesen. Es war nicht so, dass ich noch nie in Deutschland gesehen hatte oder nie ein Auto gesehen hatte. Ich hatte das alles gesehen. Das war aber als Tourist. Das ist ja komplett anders, wenn man irgendwo hingeht, als Tourist oder wenn man irgendwo hin geht, man muss sich integrieren, und ich hab mich dann diese Welt vorgestellt, die ich ja so erlebt hatte, war für mich so in Deutschland, Europa, die westliche Welt war für mich wie der Himmel, und man hatte alles, was man sich vorstellen kann. Das war vom Essen hin bis zur fließendes Wasser bis zur Elektrizität, all die Sachen, fernsehen, war für mich so faszinierend, und da war schon ein Verlangen, das mal zu erleben. Und da hat mein Onkel damals, hat uns ein Angebot gemacht, weil der hat immer gesagt, das Kind muss zivilisiert werden, und hat mich dann mit 17 auf dem Mädcheninternat in die Schweiz geschickt. Und da fing alles an. #00:16:56-9#

Birte Karalus: Ich glaube, da passt das Wort Kulturschock wirklich hin. #00:17:01-2#

Sabine Kuegler: Ja, total, und dann noch auf dem kleinen Schloss, und das war so ein Mädcheninternat, und ja, ja, und das war auch gut so. Also, das war zum Beispiel auch gut so, und da kam ich natürlich in eine Welt hinein, wo ich dachte, dass ich sie kannte, aber die komplett anders war. #00:17:17-4#

Birte Karalus: Wie haben Sie sich da zurecht gefunden? #00:17:18-0#

Sabine Kuegler: Also, ich hatte das große Glück, das ist ja nicht, wir waren so im ganzen Schul, glaube ich nur 14 Mädchen, es war ganz klein, und die wussten, woher ich kam. Die haben auch schnell kapiert, dass ich vieles nicht wusste, und hatten sich dann sozusagen ein Ziel gesetzt, mich zu zivilisieren und mir alles beizubringen, und das hat natürlich Spaß gemacht. Also ja, viel gelernt. Ich habe dann auch immer so Zeitschriften vom Kiosk geholt und hab dann, ich musste ja alles neu lernen, ich musste ja von Anfang lernen, was die meisten hier schon im Kindergarten lernen, und hab dann viel nachholen müssen, und es hat Spaß gemacht. Aber ich hab dann gemerkt, so, irgendwann mal, dass es so nicht meine Welt ist, und fing dann an, Heimweh zu bekommen. #00:17:55-0#

Birte Karalus: Ich habe zwei Dinge noch, die ich mir aus dem Buch aufgeschrieben habe, die mir gut gefallen haben. Kulturschock. Sie haben gesagt, im Dschungel ist es ganz wichtig, unsichtbar zu sein, gerade als Jägerin. Da darfst du nicht gesehen werden, sonst ist die Gefahr zu groß. Im Westen ist es genau das Gegenteil. Wenn du nicht gesehen wirst, dann hast du Schwierigkeiten. Das ist das eine, was ich mitnehme, und das andere. Sie haben ja gesagt, sie sind im Dschungel groß geworden mit all den Gefahren, die es da gibt. Sie sind Jägerin geworden, das heißt, Sie haben eine geschärfte Wahrnehmung, fühlen Menschen, und als sie erst mal in Hamburg bei der Familie ankamen und in die Schweiz gegangen sind, haben Sie eines ganz klar gefühlt: dass die Menschen sich anders zeigen als sie sind, dass sie alle ne Maske aufhaben und sich verschließen. Ich glaube, das ist eine ganz große Gabe, die einem auch vielleicht nachher weiterhelfen kann. #00:18:36-3#

Sabine Kuegler: Also für mich war es das Gegenteil, für mich ist es das Gegenteil. Ich sehe es nicht so als Gabe an. Es sagen mir auch immer viele Menschen, aber es ist so. Man muss sich vorstellen, dass jeder Mensch, also so kann ich es am besten erklären. Jeder Mensch hat so ein Radio, das im Kopf abspielt, und normalerweise sollte man das ja nicht hören, was so abspielt im Kopf, aber ich kann es hören. Das heißt, wenn ich ein paar Leute um mich habe. Das ist ja immer so eine Art Lernfaktor, und ich habe das auch nie verstanden. Heute verstehe ich das. Und ich habe nie verstanden, warum ich in einer Situation so reagiert habe, und ich habe irgendwann mal gedacht, irgendwas stimmt mit mir nicht. Weil warum war ich die einzige, die das hören konnte? Und dann kam die Frage, ist irgendwas mit mir nicht in Ordnung? Stimmt was da nicht? Ich habe ja das nicht verstanden, dass andere das nicht hören. Ich hab gedacht, alle Menschen klingen so. Das ist auch ein typisches Stammesdenken. Alle Menschen können ja hören, und warum kann, wenn ich so kommuniziert habe, konnte ich nicht verstehen, warum die Menschen so komisch reagiert haben, und habe irgendwann mal gedacht, irgendwas ist mit mir falsch. #00:19:29-9#

Birte Karalus: Ich verstehe. Anstrengendes Leben, habe ich gesagt. Als sie sich dann im Westen ihren Platz gefunden haben, ihren Platz gemacht haben, sind sie krank geworden, ziemlich schlimm krank. Die Ärzte haben sie aufgegeben. Sie haben sich aber nicht aufgegeben und sind nach Westpapua zurückgegangen, und dann beginnt für mich eigentlich Ihre eigentliche Lebensreise, wenn wir da mal hinschauen wollen. Sie sind zurückgegangen nach Westpapua, haben einen ganz tollen Freund dort, Micky heißt er. Sie sind auf die Suche gegangen nach einer Heilung, dass ihnen aus dieser Krankheit heraus hilft. Aber als allererstes, was sie festgestellt haben, ist, in der Zeit, wo sie weg waren, gab es dort auch eine Veränderung, ein Kulturkonflikt zwischen jungen und älteren Menschen. Wie haben sie das erlebt? #00:20:07-7#

Sabine Kuegler: Was meinen sie damit? #00:20:07-7#

Birte Karalus: Sie schreiben, dass es eine neue Lebensweise dort eingezogen ist, das auch negativ auf das Zusammenleben ausgewirkt hat? #00:20:15-9#

Sabine Kuegler: Ja, in den Städten, ja, ja, definitiv ja. Also das war auch schon als Kind so, also überall, weil ein Stammessystem oder ein Dorf, es gibt ja drei verschiedene Ebenen, muss man ganz klar sagen. Also es ist in Papua-Neuguinea, ne, das eine sind die Städte, das zweite sind die Dörfer, wo sie dazwischen sind, und das dritte sind natürlich Stämme, die keinen oder wenig Kontakt zur Außenwelt haben. Die, die wenig Kontakt oder keinen Kontakt mit der Außenwelt haben, die haben nicht so sehr die Konflikte, aber die, in den Städten, die, die, die kommen in eine Situation rein, das für die so fremd ist, und die verstehen das ja auch selbst. Das heißt zum Beispiel, in Stämmen oder in Dörfern gibt es fast keine Gewalt gegen Frauen, sondern dieselbe Ehepaar, wo das alles in Ordnung ist kommen in der Großstadt rein, und der Mann fängt an, die Frau zu schlagen, und das habe ich immer wieder so beobachtet und habe immer gedacht, warum? Warum ist das so anders? Und das hat damit zu tun, dass, wenn, wenn man in einem Stamm ist, ist man erst mal viel mehr kontrolliert. Man hat nicht die Freiheit. Das heißt, wenn ein Mann seine Frau misshandelt, kommt, werden sofort alle involviert, und deshalb ist da mehr Kontrolle, während in der Stadt das alles wegfällt, plötzlich. Besonders die Männer verlieren ihre Aufgabe, die verlieren ihren Halt. Frauen war es ein bisschen anders, weil Frauen im Stamm, erstens haben sie die Kinder, und zweitens sind es die Frauen, die wirtschaften. Deshalb, wenn die in eine Stadt kommen, kommen die Frauen besser damit um, aber die Männer nicht so sehr, und da hat man immer wieder gesehen, dass die da in eine Situation reinkommen, was natürlich sehr, sehr schwierig ist. #00:21:35-4#

Birte Karalus: Sie sind mit dem Freund Micky dann auf Reisen oder gehen auf Reisen in die kleinsten Dörfer, in die tiefsten Wälder. #00:21:44-0#

Sabine Kuegler: Überall, auch Inseln. #00:21:44-0#

Birte Karalus: Unglaublich schön zu lesen! Also, ich darf das jetzt so sagen, ich hab's ja nicht erlebt, und ich durfte eben nur als Zuschauerin das ganze eben sehen. Viele Geschichten, ich habe einen raus-. Ich habe im nachhinein überlegt, warum die mich so fasziniert hat, weil ich sie tragisch finde und sehr berührend finde. Ist das Fischmädchen. Mögen sie uns die mal erzählen? #00:22:02-9#

Sabine Kuegler: Ich habe, als ich auf dem, das war auf den Salomoninseln, habe ich so einen jungen Mann kennengelernt, der hat eine faszinierende, wir haben das ja auch sehr kürzen müssen im Buch. Es war viel, viel mehr detaillierter, hat uns eine Geschichte erzählt, wo er mit acht Jahren von einer Meerjungfrau mitgenommen worden ist, weil er von seiner Mutter so misshandelt wurde. Die Mutter lebte in der Stadt, und der ist dann mitgegangen und hat da zehn Jahre mit dieser Meerjungfrau dann gelebt. Fantastisch, die Geschichte, also im Detail, alles, und ich hab mir das angehört, und mir gedacht, wie kann das sein, wie kann das sein? Also Sachen erzählt, die ich auch im Nachhinein immer über andere gefragt habe. Also, und dann habe ich natürlich nachgeforscht, nachher, seine Geschichte, und es war tatsächlich so, der ist mit acht Jahren verschwunden und ist zehn Jahre später in Neuguinea auf eine andere, also Hunderte, Hunderte von Kilometer auf eine Insel gefunden worden, auf so eine Fischerinsel, wo eigentlich keiner hingeht, ist er gefunden worden, ist dann zur Polizeistation. Die haben ihn dann zurückgeflogen nach Salomoninseln, ja, und und hab dann herausgefunden durch die, die das dann recherchiert haben, was sie das danach geforscht haben, dass er nicht von einer Meerjungfrau mitgenommen worden ist, sondern von einem Segler, also von einem Mann, der auf dem Schiff- Fischerboot gearbeitet hat. Und natürlich kann man sich vorstellen, was da zehn Jahre lang passiert ist und hat sich aber, und das war auch interessant, weil ich hab die nämlich gefragt, die Polizei, die das investiert, also die das dann herausgefunden hat. Ich habe die nämlich gefragt, habt ihr das dem gesagt? Und da haben die gesagt, nein, haben wir nicht, weil es ist besser, er lebt im Glauben, dass es mit einer Meerjungfrau gewesen ist als die Wahrheit. #00:23:33-4#

Birte Karalus: Also, er hat sich seine Geschichte anders erzählt, damit er damit zurecht gekommen ist, und sie schreiben dann, "Ich hab an dem Zeitpunkt verstanden, wie wichtig es ist, die Gedanken und den Verstand zu sehen, welche Möglichkeiten du hast, das Leben zu leben und auch die Zukunft damit zu formen", und Sie haben dann gesagt, "Okay, ich habe auch verstanden, wie stark ich in meinem Selbstmitleid eigentlich festgehangen habe", und dass Sie gesagt haben, ich schäme mich eigentlich dafür. #00:23:55-5#

Sabine Kuegler: Ja, ja, ja, ja, das war so, diese Geschichte kam so an ein Punkt, wo ich eigentlich aufgegeben hatte, wo ich mir gesagt habe, okay, was soll ich hier noch? Wir waren ja schon lange, lange dort, vor Jahren waren wir schon dort und hatten nie Erfolg, und es war irgendwann mal, hatte man auch die Kraft nicht mehr. Und und da habe ich, bin ich diesen jungen Mann begegnet und habe mir gedacht, na ja, wenn der das geschafft hat. Also, das kann man sich nicht vorstellen, was der durchgemacht hat. Man hat mir da so ein Bisschen erzählt, was da passiert ist da auf dem Schiff. Das kann man sich einfach nicht vorstellen. Also, das war das Schlimmste, was man sich vorstellen kann, aber der war so zufrieden, der war so, natürlich habe ich gemerkt, dass er so ein bisschen weg war, aber der hatte seinen Platz wieder gefunden in diesem Stammessystem, wo er war, und im Dorf, wo er war, hatte seinen Platz wieder gefunden, und zwar als Fischmädchen, und alle haben es akzeptiert, und alle alle haben gesagt, ja, der ist bei den Meerjungfrauen gewesen, und diese Geschichte wird akzeptiert. #00:24:46-4#

Birte Karalus: Und es ist der Blick nach vorne, der ihn ausgemacht hat, und nicht die Geschichte, die dahinter lag. Ich habe zwei Punkte zu ihrem Freund Micky, mit dem ist ja auch eine tragische Wendung noch gegeben hat. Auf die gehe ich jetzt gar nicht ein, man muss das Buch ja auch lesen. Ich kann ja nicht alles erzählen, aber zwei Dinge haben mir besonders gut gefallen, weil wir ja sagen, wie gehen wir hier eigentlich miteinander um? Sie sind auf der Suche nach Heilung in einem Stamm. Dort könnte die Heilung sein, und sie gehen nicht hin und sagen, oh Gott, mir geht es ganz schlecht, los, helft mir, so wie wir das im Westen vielleicht machen würden. Unhöflich und kurz, und wir sind ja im Mittelpunkt, sondern Sie schreiben, dass ihr Freund Micky versteht, wie man mit anderen spricht. Er versteht, wie sie denken, er lässt sich Zeit, und das Verstehen funktioniert über Schweigen, Zuhören und Beobachten. Das finde ich großartig. Also, das, finde ich, können wir sehr übernehmen in unsere Gesellschaft. #00:25:29-8#

Sabine Kuegler: Ja, ja, und das das, was ich auch so interessant finde über, was viele auch nicht verstehen, über Stammeskulturen, ist, wenn man reingeht in einem Stamm, das Erste, was wir machen von unserer Kultur her, ist, wir gehen und wir, wir wollen Informationen haben, wir gehen und fragen, ja, können wir mit dem Häuptling reden, dann kommt irgendjemand und sagt, ich bin der Häuptling, und dann fragt man und sagt, sprichst das und das und das an. Das darf man nicht im Stammessystem, weil das Leben basiert auf das Nehmen und Geben. Also, beziehungsweise man muss was geben, bevor man was nimmt. Und wenn wir reingekommen sind in einem Stamm, sind wir nicht gleich losgegangen, da hat ihr ein Heilmittel, wir sind hingegangen und haben was für die getan, entweder meistens mit Agrikultur zu tun, haben den geholfen mit den Gärten. Sie wussten natürlich schon, warum wir da waren, aber es wurde nicht drüber gesprochen, und dann, als wir das für die gemacht haben, dann haben die uns auch geholfen, und so war das immer ein Geben und Nehmen. #00:26:11-8#

Birte Karalus: Eine unendliche respektvolle Art und Weise, miteinander umzugehen. Ich finde es auch schön, erst mal in Vorlage zu gehen, zu sagen, ich will ja was von dir. Also zeige ich erst mal, so, dass ich dir auch was geben möchte, damit wir da in einem guten Ausgleich kommen. Die zweite Geschichte, die mit ihrem Freund passiert, ist das Thema Verantwortung. Es eskaliert ein bisschen bei Ihnen, was ein bisschen, es eskaliert richtig, und er sagt, es geht immer nur um dich, um deine eigenen Wünsche. Ich begleite dich jetzt so lange, du bist in deinem Selbstmitleid, übernimm noch mal Verantwortung für deine Schwächen und Ängste und wähle das Leben und höre auf, dich zu verstecken. Das fand ich, kann man sich wahrscheinlich auch nur von einem wirklich echten Freund erzählen lassen, aber das fand ich schon eine klare Ansage. #00:26:51-1#

Sabine Kuegler: Ja, ja, weil ich finde, ja, ich war ja im Punkt, ich war ja, ich hab mich ja irgendwann mal wirklich in einem Urwald verloren. Das ist auch, was viele nicht verstehen, ich, mein ganzes Ziel wäre zurückzukommen zu meinen Kindern. Aber ich habe mich wirklich so sehr vertieft in der Kultur, dass ich meine eigene Identität verloren hatte. Das ist nicht mehr, also, ich habe mich komplett verloren, um mich dieses Gedanke, zurückzugehen in den Westen. Da hatte ich panische Angst, panische Angst auch sogar, als ich zurückgekommen bin. Ich hatte lange, lange, lange Angst hier, und, aber der hat zu mir gesagt, deine Chance, in einem Stamm zu leben, hast du, es wird nicht passieren. Warum? Weil ich Jägerin war, und ich habe dieses, man sagt das Jagdadrenalin in in mir und die Stammleute, weil die ja auch alles spüren können, die sehen das. Also bin ich für die, weder Mann noch Frau, weder Stammes, noch außer. Ich bin ja immer dazwischen gewesen, und und da hat er zu mir gesagt, man muss Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen, und dein Platz ist nicht hier im Stamm, dein Platz ist mit deinen Kindern, geh zurück! #00:27:48-8#

Birte Karalus: Ich glaube, es ist auch ganz wichtig anzunehmen, was ist, nicht immer zu wünschen, dass das alles rosarot sein könnte, ja, wär toll. Aber manchmal nochmal annehmen, das, was ist, und das beste daraus machen, ist so. Sie leben und lebten in unterschiedlichen Kulturen. Ihr Rat, wir haben angefangen am Anfang. Sie haben gesagt, ich habe das Buch geschrieben, weil ich etwas gelernt habe. Das ist etwas, was ich weitergeben kann, weil so gerne in der Öffentlichkeit lebe ich gar nicht, sondern ich gehe jetzt wieder zurück in die Öffentlichkeit, weil es mir wichtig ist, diese Botschaft mitzugeben. Was ist sie denn? Wie können wir denn besser miteinander leben in unterschiedlichen Kulturen? #00:28:21-6#

Sabine Kuegler: Also, ich glaube zum Beispiel für mich, es gibt ja so viele Punkte, was so kulturelle Unterschiede gibt. Und ich glaube persönlich, dass die meisten Konflikte aus Misskommunikation und Missverständniss passieren. Weil wir tendieren, immer die Welt zu sehen mit unseren Augen und glauben, dass alle Menschen genau wie wir sehen, genau wie wir denken, genau wie wir fühlen. Und da kann ich zum Beispiel einen sehr guten Beispiel geben. In einer Stammeskultur Fragen zu stellen, ist grundsätzlich sehr unhöflich. Man kann natürlich ein, zwei Fragen stellen, das ist kein Problem, aber man setzt sich nicht hin und fängt den Leuten an, Fragen zu stellen. Warum? Weil das basiert jetzt alles auf das Geben und Nehmen. Das heißt, wenn ich jetzt dort bin, und ich möchte Informationen haben. Lass uns mal sagen, eine Frau: Ich möchte wissen, wie ihre Ehe.. muss ich ja zuerst über mich sprechen und über meine Ehe. Ich bin ja nicht verheiratet, aber wenn ich jetzt so gegen ihr übersitzen würde, und ich würde sagen,"Ja, ich bin verheiratet, und mein Mann weiß, mein Mann ist da immer ein bisschen so faul, der mag gerne rumsitzen." Und dann sage ich nichts. und dann sagt sie mir: "Ja, mein Mann auch, das sitzt auch oft rum". Und dann sag ich "Ja, aber mein Mann kann gut Hütten bauen." Und dann sagt sie "Ja, mein Mann kann gut das machen." Und so tauscht man sich aus. Und man, man geht speziell auf das, was rein, was man wissen möchte. Jetzt komme ich nach Europa und mach nur das, was ich kannte. Ich setze mich hin und rede mit jemand und erzähl ihm was über mich selbst. Und dann warte ich, und es passiert nichts. Ich bekomme nicht zurück. Also erzähle ich noch was über mich selbst, weil ich denke, na ja, vielleicht muss ich mehr erzählen. Und beim dritten Mal sagt mir die Person ja, du redest nur die ganze Zeit über dich selbst. Und ich habe es nicht verstanden. Ich habe es absolut nicht verstanden. Aber das ist so, das meine ich mit Missverständnis. Mir wurde gesagt, du redest ja nur über mich selbst, und ich war, wieso sind die Leute hier so unglaublich geschlossen und unhöflich? Weil ich geb dir was von mir selbst und bekommen nichts. Und das ist kulturelles Missverständnis, und das haben wir in so vielen Ebenen, zwischen Kulturclashes und so was. #00:30:17-2#

Birte Karalus: Also, ich stimme ihnen da sehr zu. Es ist wirklich pervers, teilweise, welche großen Konflikte existieren, wenn man zurückschaut, wie sie entstanden sind, teilweise wirklich aus Nichtkommunikation, fehlerhafter Kommunikation, Missverständnissen. Es baut sich auf. Also ich denke, das wäre ein toller Job, den sie da annehmen könnten, wenn sie das machen wollten, wirklich ein bisschen Frieden hineinzubringen, Perspektivenwechsel, es wird sich entwickeln. Wann haben Sie denn den Frieden mit sich selbst gemacht? Ich habe mal so ein bischen das Gefühl gehabt, dass sie mit sich selbst da so noch im Klinsch liegen. #00:30:45-9#

Sabine Kuegler: Ja, also ich, ich glaube, 100 Prozent wird das, glaube ich, nie sein. Ich hab das aber akzeptiert. Also, man sagt ja, das, was man verändern will, soll man verändern, und das, was man nicht verändern will, sollte man akzeptieren, und ich habe das irgendwann mal akzeptiert, dass ich einfach immer so dazwischen leben werde. Das hat mir sehr geholfen. Aber was mir natürlich sehr geholfen hat, das war, das Buch zu schreiben, was ich ja auch nicht so erwartet habe. Ich habe mir gedacht, na ja, ich hatte mich ja auch angefangen, hier wieder einzuleben, hab einen Freundeskreis aufgebaut, habe mir auch jetzt ich mir irgendein Job, jetzt mache ich das, mach dies, und dann kam natürlich das ganze Beruf dazwischen, und wir haben das ja ganz schnell geschrieben innerhalb von drei Monaten, und ich habe es ja auf Englisch geschrieben, weil mein Englisch ist besser als mein Deutsch, und dann haben wir es in Deutsch getan und dann nochmal bearbeitet, und das in wirklich drei Monaten. Aber im ersten Monat habe ich nur geheult, nur geweint. Also, ich hatte so einen Weg und habe gesagt, ich kann das nicht, ich kann das nicht, ?. Das Interessante ist aber, so mehr ich das Buch geschrieben habe, so mehr ist dieses Heimweh weggegangen, bis ich so am Ende zu kam und gemerkt habe, dass dieser extreme Heimweh weg ist, und das hat mir sehr, sehr geholfen, so Ruhe zu finden in mir selbst. #00:31:50-3#

Birte Karalus: Mhm, das aufzuarbeiten. Ich schwimme nicht mehr da, wo Krokodile sind. Am Anfang, habe ich gesagt, kann ich im Dschungel verstehen, weil Krokodile sind wirklich Wesen, den man nicht unbedingt begegnen sollte. Aber dieser Satz macht großen Sinn, auch in unserer westlichen Kultur. Was meinen Sie damit heute für uns? #00:32:08-5#

Sabine Kuegler: Also, das, der ganze Titel basiert ja auf die Geschichte von, als wir bei den Fayu waren und wir in einem Fluss geschwommen sind und die Fayu uns einfach beobachtet haben, total fasziniert, bis mein Vater hingegangen ist und hat gesagt, "Leute, warum schwimmt ihr nicht mit uns?" Und die haben gesagt "Nee, in diesem Fluss schwimmen wir nicht." Wir sind natürlich herausgesprungen. Und mein Vater hat gefragt: "Warum schwimmt ihr hier nicht?" Und dann sagen die ja: "Hier leben die Krokodile." Und als mein Vater dann später gefragt hat, warum habt ihr uns nicht gesagt, dass die Krokodile hier Leben, haben die gesagt, ja, aber Klaus, du. Jeder weiß doch, dass die Krokodile hier leben? So. Dieser Satz: "Jeder weiß das", "Das ist doch logisch, dass...", "Sind sie bescheuert" die das... also wirklich viele, viele Jahre immer wieder von Menschen gehört, weil ich hier aussehe wie alle anderen, und dann hat man gedacht, naja, sie muss das ja wissen. Das heißt, oft kommt man in Situationen rein, wenn man von einer anderen Kultur kommt, dass man etwas macht, was man wirklich nicht weiß. Und dann kommt man von einem Denken her, jemand kommt hin und versteht das nicht und sagt: "Das ist doch logisch! Jeder weiß doch, dass die Krokodile da sind. Jeder weiß doch, dass man das machen muss. Jeder...", und dieser Satz hat mich immer, also immer wieder verfolgt, jahrelang. #00:33:15-9#

Birte Karalus: Also nehme ich mit. Es ist wirklich wichtig, miteinander zu sprechen, vor alledem aber auch zuzuhören, zu beobachten, zu schweigen und wohlwollend miteinander erst mal umzugehen und nicht gleich zu glauben und zu wissen, wie der andere ist, kann ein ganz anderer sein hinter der Maske, die wir sehen. #00:33:31-1#

Sabine Kuegler: Ja, absolut. #00:33:32-9#

Birte Karalus: Sabine Kügler, es hat mir einen Riesenspaß gemacht. Vielen herzlichen Dank für dieses tolle Buch, was ich sehr empfehlen kann. Ich wünsche Ihnen ganz, ganz viel, naja, was wünsche ich Ihnen? Frieden, den sie finden können, und ihren Weg weitergehen. Glauben Sie denn, dass sie nochmal zurückgehen werden? #00:33:46-2#

Sabine Kuegler: Also ich glaube schon, das wäre so mein mein Wunsch, so ab und zu zurückzugehen, und habe mir auch überlegt, es gibt ja, es ist ja eine sterbende Welt im Urwald. Überlegen war damit, die Kamera hinzugehen und das noch zu dokumentieren, bevor es ganz weg ist, weil ich bin auch die einzige Person, also ausländische Person, die da überhaupt rein kann, die das auch überleben würde, und ich weiß nicht, das wäre so mein Wunsch. Dann hätte ich so das Beste von beiden Welten. #00:34:10-9#

Birte Karalus: Die Kulturversteherin, Sabine Kügler. Vielen, vielen Herzlichen Dank! Schöne Zeit! #00:34:13-7#

Sabine Kuegler: Dankeschön! Dankeschön. #00:34:15-0#