Anselm Grün - Die Kunst des Führens

Shownotes

In der vierten Episode ihres Podcasts "Wie Gehen Wir Eigentlich Miteinander Um?" begrüßt Birte den geistlichen Schriftsteller und Benediktinermönch Pater Anselm Grün.

Die geistliche Berufung von Pater Anselm begann früh, inspiriert durch seine Erfahrungen mit der Erstkommunion und der Liturgie. Mit 19 Jahren trat er dem Kloster bei, eine Entscheidung, die sein Leben prägte.

Anselm Grün betont die Bedeutung positiver Menschenführung, die sich in der Arbeitswelt und im persönlichen Miteinander manifestiert. Er diskutiert die Herausforderungen, denen sich Menschen in Führungspositionen gegenübersehen, insbesondere wenn der Druck, finanzielle Ergebnisse zu liefern, mit den persönlichen Werten kollidiert.

In einem breiteren gesellschaftlichen Kontext diskutieren Birte und Pater Anselm die Verrohung der Sprache und die Entfremdung der Menschen voneinander. Anselm Grün ermutigt dazu, einen positiven Einfluss auszuüben, indem man sich auf positive Sprache und persönliche Verantwortung konzentriert.

Gast: Anselm Grün Website: http://www.anselmgruen.de/ Klosterwebsite: https://www.abtei-muensterschwarzach.de/kloster/anselm-gruen Bücher: https://www.vier-tuerme.de/anselm-gruen/?p=1 Facebook: https://www.facebook.com/anselmgruen/ Youtube: https://www.youtube.com/channel/UCcVRqViP7BWIVHKiZ0sasEg Instagram: https://www.instagram.com/anselm_gruen/

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Heute haben wir Pater Anselm Grün zu Gast, erst Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, indem er bis 2013 als Cellerar der Abtei zuständig war. Weitaus bekannter ist er jedoch als erfolgreicher Autor. Über 20 Millionen spirituelle Bücher, übersetzt in 31 Sprachen, wurden weltweit verkauft und selbst von Papst Franziskus empfohlen. Für mich ist Pater Anselm Grün aber vor allem ein empathischer Zuhörer, ein Mutmacher und Ratgeber, oder anders gesagt, schlichtweg ein Mensch, dem die Zuversicht nicht auszugehen scheint. Wir trafen uns auf ein kurzes Gespräch in der Krypta der Abtei. #00:00:53-8#

Ich fand es spannend bei der Vorbereitung, als ich gesehen habe, dass ihre Eltern ein Elektrogeschäft hatten und sie ein großes Talent gehabt haben sollen, Glühbirnen und Taschenlampen zu verkaufen, gab es dann den Wunsch ihrer Eltern, dass sie dieses Geschäft übernehmen sollen? #00:01:10-0#

Nein, dieser Wunsch war nie da. Also ich bin ja dann. Mit zehn Jahren habe ich ja den Wunsch schon geäußert, Priester zu werden, und mein Vater war da ganz begeistert, weil er selber ein sehr frommer Mann war. Also, es war nie die Idee, dass ich das Geschäft übernehmen soll. Meine zwei Brüder haben es übernommen, und ich wollte eigentlich im Kloster nichts vom Geschäft wissen, aber dann kam der Abt auf die Idee, dass ich Cellerar werden soll. #00:01:32-3#

Ja, das Leben macht manchmal so seine Wendung. Ich habe nun viel Kontakt mit jungen Menschen, die ein beschleunigtes Abitur machen, und wenn sie dann fertig sind, wissen sie gar nicht, was sie direkt machen wollen. Sie hingegen wussten schon mit zehn Jahren, dass sie ins Kloster gehen wollten, und nicht nur, dass sie es wussten, sie haben es dann auch getan. Was glauben sie? Woher kam diese Klarheit? #00:01:52-0#

Mit zehn Jahren war ich sehr berührt von der Erstkommunion, von der Liturgie. Natürlich war das noch ein infantiler Wunsch, den ich dann meinem Vater geäußert habe, aber dann hat er das organisiert, dass ich ins Internat kam. Dann war eigentlich immer die Idee, ja, das ist mein Weg. Zwischendrin gab es natürlich Krisen und Zweifel, aber vorm Abitur habe ich dann mich entschlossen, doch ich gehe hierhin, ich möchte. Damals war die Idee, ich gehe nach Korea, nach Asien, und werde Missionar und da wird da die Botschaft auf eine andere Weise verkünden. #00:02:23-7#

Aber trotzdem waren sie sehr klar. Hatten sie denn ein Impuls? #00:02:27-4#

Ich war begeistert und hat so eine Leidenschaft gespürt, dass ich für die Kirche, für das Reich Gottes was tun will und dass ich den Menschen berühren will, in einer Sprache, die ihre Sehnsucht wirklich anspricht. #00:02:40-4#

Und dann sind sie mit, glaube ich, 18 nach dem Abitur, 1965 tatsächlich ins Kloster gegangen. #00:02:46-0#

64 mit 19 Jahren, ja! #00:02:48-2#

Aber dann weiß ich, dauert es noch mal sieben Jahre, bis man wirklich endgültig gesagt bekommt, dass man bleiben darf. #00:02:53-8#

Es waren so fünf Jahre, Probezeit. Doch da war es eigentlich klar dass. Ich war sehr ehrgeizig, studieren, hab ganz viel gelesen und auch Philosophie und Psychologie und wollte einfach die Botschaft Jesu in einer neuen Sprache verkünden. #00:03:08-7#

Genau das ist es. Der Punkt, den ich so faszinierend finde, ist, dass wir in einer Zeit leben, wo viele Menschen Kirche und den christlichen Glauben gar nicht mehr so an sich heranlassen. Sie sind aber so ein Übermittler. Sie nehmen diese christlichen Thesen auf und bringen sie in den Alltag, so dass auch, das weiß ich, viele Menschen aus der Wirtschaft zu ihnen kommen. Was suchen diese Menschen? #00:03:30-0#

Die Menschen suchen einmal Hilfe für sich selber. Wie kann ich bei diesem Stress, den die Wirtschaft bietet, aus einer inneren Quelle leben? Wie kann ich ruhig bleiben? Wie kann ich ganz Mensch bleiben? Und das zweite, welchen Sinn sehe ich in meiner Arbeit, dass sie eben nicht irgendwelchen Zahlen diene, sondern dass ich im Menschen das Leben hervorlocke. Und ich sage immer führen heißt Leben weg mit den Menschen, und nicht die Menschen unter den Druck von Zahlen setzen. #00:03:59-8#

Menschenführung ist ihr großes Thema. Dabei haben sie eine alte Tradition der Benediktinermönche übernommen und die sie mit moderner Psychologie verbunden. Können Sie mir erklären, was bedeutet für Sie Menschenführung? #00:04:13-5#

Die erste Bedingung ist, dass ich mich selber gut führen kann. Dass ich selber mich kennenlerne, bin ich gesagt, vom Cellerar soll weise sein, weise heißt Sapiens, der natürlich schmecken kann, der sich selber annehmen kann, weil ich kenne viele Führungskräfte, die wollen gut führen, aber sie kennen sich selber nicht, und das, was sie bei sich selber nicht kennen, projizieren sie dann auf die anderen. Dann wollen sie zwar vertrauen, vermitteln, aber von ihnen geht ein Grundmisstrauen aus, weil sie sich selber nicht trauen, das ist der erste Punkt, sich selber kennenzulernen. Ich muss als Führungskraft nicht perfekt sein, sondern ich muss bereit sein, als Führungskraft im Umgang mit den Menschen selber zu lernen. Das zweite ist dann, dass ich an das Gute im Anderen glaube, dass ich den einen nicht festlege auf sein negatives, Albert ? Psychiater sagt dann mal, keiner tut das Böse aus Lust am Bösen, sondern immer aus Verzweiflung, und das heißt für die Mitarbeiter kein Mitarbeiter ist aus Lust, schwierig, sondern immer aus einer inneren Not heraus. Und die Kunst des Führens heißt, wenn ich diese Not erkenne, wie kann ich in ihm Leben wirken? Die Arbeit kann ja auch ne art Therapie sein, dass er auf einer Lust hat, bestätigt fühlt, dass er merkt, er kann was. #00:05:23-3#

Das hört sich nicht nur als Basis für das Arbeiten gut an, sondern vor allem auch für das Zusammenleben, bei dem anderen nicht immer gleich zu erwarten, dass was Negatives kommt, nicht zu erwarten, dass der andere erst in Vorlage geht, erst er muss etwas geben, und dann ziehe ich nach. Ich frage mich oft, was läuft denn so schief in den letzten Jahren, dass wir ja schon fast ja verroht miteinander umgehen? #00:05:44-7#

Diese Verrohung zeigt immer, dass die Menschen ihre eigene Wahrheit nicht anschauen wollen und alle ihre Schattenseiten auf die anderen projizieren, und dadurch lenken sie von sich selber ab, regen sich ständig über andere auf und meinen, sie würden Gutes tun. In Wirklichkeit betreiben sie nur emotionale Umweltverschmutzung. All das Chaos, was in ihnen ist, geben sie nach außen, und das kann nicht gelingen. Ich muss erst mal meine eigenen Emotionen reinigen, damit von mir etwas Klares ausgeht. Jede Führungskraft hat Ärger und Enttäuschung, aber meine Entscheidung und meine Verantwortung ist, dass hier morgen, wenn ich in die Verwaltung gehe, in die Firma gehe, mit reinen Gefühlen, mit dem Gefühl von Wohlwollen, von Frieden, von Zuversicht, von Hoffnung in die Firma gehe. Also, ich bin verantwortlich für das, was ich ausstrahle. #00:06:36-8#

Und das verstehe ich. Aber wenn, wenn ich sage, dass das, was du gibst, zu dir zurückkommt, wenn auch nicht immer gleich, bekomme ich aber oft gesagt, ja, Birte, du magst ja Recht haben, aber wenn ich nur Aggression zurückkriege, im Straßenverkehr, in der Schule, Respektlosigkeit überall, wie soll ich denn da geben? Also was sage ich diesen Menschen oder besser, was würden Sie diesen Menschen sagen? #00:06:59-0#

Gut, zum Geben gehört natürlich auch das Sich-Abgrenzen. Wenn ich nur Aggressionen bekomme, dann muss ich mich schützen und die anderen bei sich zu lassen, und ich darf denen keine Macht geben über mich. Aber trotzdem bin ich zum aggressiven Menschen. Ein freundliches Blick gebe vielleicht verwandelt das ihn auch. Wenn ich reagiere auf seine Aggression, dann sind wir beide aggressiv, und es geht uns beiden schlecht. Bin ich aber bei mir, bleibe in meiner Mitte und spüre, dem geht es halt gerade nicht gut, weil der so aggressiv sein muss, und ich glaube trotzdem, dass hinter der aggressiven Fassade die Sehnsucht ist nach Beziehung, nach Freundlichkeit. Dann kann ich das auch wecken. #00:07:39-4#

Mhm, das hört sich wunderschön an, ich glaube auch da dran. Aber gerade in den Momenten, in denen ich mit Politikern weltweit spreche, fällt mir auf, dass es schwer ist, manchmal zu glauben, dass da so viel Liebe oder gar Nächstenliebe auch hintendran steht, insgesamt nehme ich immer wieder einen verstärkten Druck und Verunsicherung in unserer Gesellschaft wahr, schon gar nicht nur hier in Deutschland, sondern überall. Wir verlieren unseren inneren Kompass. Was glauben Sie? Was würde uns am ehesten helfen, wieder von dem Ich zum Wir zu kommen? #00:08:08-2#

Es gibt zwar diese Tendenz der Digitalisierung, des immer größeren Drucks, aber es gibt auch eine Gegenbewegung bei den Menschen, die spüren, wir müssen anders führen, wir brauchen eine andere Kultur. Der Audichef hat seine jungen Mitarbeiter hierher geschickt, weil er sagt, wir brauchen eine andere Kultur in unserer Firma, und ich halte nur Vorträge für Menschen, an die ich glaube und wo ich drauf hoffe, dass in ihnen die Sehnsucht nach dem Guten da ist, und ich werde da nicht enttäuscht. Die Menschen sehnen sich danach, aber trotzdem, in vielen Menschen, die nach außen vielleicht harte Typen sind, ist trotzdem die Sehnsucht nach dem Guten, und es ist meine Verantwortung, dass ich an die Sehnsucht glaube. Ich erlebe auch viele Priester, die sagen, ja, die Menschen glauben heute nicht mehr. Dann sage ich, dann glaubst du nicht mehr. Es ist deine Entscheidung, ob du an der Sehnsucht der Menschen glaubst, lässt dich auch die Sehnsucht nach Gott, dass etwas ist, was größer ist als wir selber. #00:09:05-1#

Was wäre denn für unsere heutige Zeit die relevanteste Veränderung, die etwas bringen würde? #00:09:10-0#

Zunächst müssen wir bei der Sprache beginnen. Die Sprache verrät dich ja, sagen schon die Leute zu Petrus, und unsere Sprache verrät uns ja, dass sie oft aggressiv ist, kalt ist, verletzend, bewertend. Wir brauchen eine Sprache, die wärmt, ne Sprache, die aufrichtet. Die Kirche würde sagen, mit der Sprache bauen wir ein Haus, und die Frage, welches Haus baue ich? Ein Haus, wo Menschen sich verstanden fühlen, aufgerichtet fühlen, oder ein Haus, wo jeder friert und möglichst schnell weg möchte, mit der Sprache beginnt es. Das andere ist dann einfach: Verantwortung übernehmen. Heute sind wir eine Zuschauergesellschaft. Alle wissen es besser, wie die anderen handeln sollen, wie die Politiker handeln sollen, aber keiner hält den Kopf hin. Wir brauchen Verantwortung, wer Verantwortung übernimmt, der ist auch vorsichtig im Urteilen. #00:09:55-9#

Sie arbeiten viel mit Menschen aus der Wirtschaft zusammen. Letzte Woche haben wir im Rahmen eines Interviews über Vorbilder gesprochen, weil ich gesagt habe, dass es für Kinder so viel leichter ist, zu assimilieren, nachzuahmen. Im Englischen heißt es charity begins at home, also die Nächstenliebe beginnt zu Hause. Das heißt, man kümmert sich nicht nur um sich selbst, sondern man bringt vor allen die Werte den Kindern bei. Das erlebe ich heute relativ wenig. Ich darf es natürlich nicht pauschal sagen, aber was glauben Sie? Wie sieht es mit den Vorbildern in der Wirtschaft aus oder auch eben in unseren Familien? #00:10:30-3#

Ich kenne viele Familienväter, Mütter, die wirklich Vorbild sind und die sich alle Mühe geben. Aber leider begegne ich heute auch Kindern, wo die Eltern kein Vorbild sind, wo sie zerstritten sind und wo sie deren Probleme an den Kindern auslassen, die unsere Lehrer, wir haben auch eine große Schule hier. Die müssen manches nachholen, was da heimlich geschieht. In der Wirtschaft gibt es Vorbilder, aber natürlich gab es gerade in großen Firmen ja auch viel Betrug und Korruption. Das hat dem Image sehr stark geschadet, und deswegen sehen sich die Leute auch in der Wirtschaft, und ich merke schon, in vielen kleinen Unternehmen, mittelständischen Unternehmen, da gibt es noch die Vorbilder, die einfach für die Menschen sorgen, und das möchte ich einfach bestärken. #00:11:16-0#

Das verstehe ich. Aber was sagen sie denn dann einem international agierenden CEO, der dann sagt, ich kann diesen guten Werten gar nicht nachhaltig nachkommen? Schließlich bin ich den Stakeholdern, also den Aktionären, Rechenschaft schuldig, und hier geht es ausschließlich um die Dividende. Ich kenne viele von denen, und die sind zu Hause, soweit ich weiß, wirklich ein toller Papa, aber in der Firma kein guter Arbeitgeber. Wie sieht es denn aus mit der Integrität der Werte? #00:11:40-0#

Es gibt genügend Forschungen, die sagen, eine Firma, die Werte lebt, wird auf Dauer erfolgreicher sein als die, die nur nach dem Geld schaut, denn Werte machen eine Firma wertvoll. Das ist vielleicht nicht kurzfristig, aber auf Dauer sind die Werte für eine Firma auch gut. Man spricht davon: Wertschöpfung durch Wertschätzung. Indem ich Werte schätze schöpfe, ich auch finanzielle Werte, aber ich brauche auch eine gewisse Zeit. Allerdings darf ich die Werte nicht verzwecken. Ich lebe nicht Werte, damit ich mehr Erfolg habe, sondern die Werte sind in sich wertvoll, aber sie machen auch das Miteinander wertvoll, und letztlich sind sie auch finanziell dann ertragreich. #00:12:21-9#

Und das gilt dann nicht nur für die großen CEOs, unsere Politiker, sondern das gilt vor allem auch in unseren Familien und in der Schule, und diesen Werten kann dann jeder nachgehen. #00:12:32-1#

Klar, wo keine Werte sind, da ist ganz viel Reibungslosigkeit, da ist Wertlosigkeit, da werden Menschen beachtet. Werte schützen ja die Würde des Menschen. #00:12:41-6#

Und wissen sie, was ich ganz oft gesagt bekomme, ist immer so, wer bin ich schon? Ich bin klein, und dann gibt es die da oben, und es ist die Welt da draußen. Aber Sie haben gerade gesagt, es fängt bei der Sprache an und auf die zu achten, das kann jeder von uns. #00:12:56-9#

Ich sage immer, jeder gräbt eine Lebensspur ein in dieser Welt, und jeder steht morgens auf, Jeder begegnet Menschen, und da glaube ich auch eine Spur, eine Spur der Freundlichkeit oder mit meiner Sprache, wie ich Menschen begegne, und das wirkt auch. Ich sage immer, du kannst nicht die ganze Welt ändern, aber dort, wo du bist, schaffst du auch eine Welt, wo das Menschliche umgeht, wo ich den anderen achte, wo wir miteinander einen Weg versuchen zu gehen. #00:13:23-3#

In diesen, ja, ich mag es mal so umschreiben, wirklich nicht rosigen Zeiten, in denen wir gerade leben, was macht Sie da noch optimistisch? #00:13:31-8#

Ich glaube, dass die Welt eben nicht nur in der Macht der Mächtigen ist, sondern in der Hand Gottes, und dieser Glaube, dass Gottes Geist auch in dieser Welt heute wirkt, das macht mich hoffnungsvoll. #00:13:47-4#

Pater Anselm Grün, vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit. #00:14:01-4#